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Wasserstoff-Leuchtturmprojekt H2-Grid startet 2023 durch – Erste Meilensteine in der Region Reutlingen-Tübingen


Im August 2022 kam der Förderbescheid: Insgesamt 32 Millionen Euro erhält das Wasserstoffprojekt Hy-Five aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und vom Land Baden-Württemberg. Damit hat auch das Leuchtturmprojekt H2-Grid Planungssicherheit. Nachdem in diesem Jahr wichtige Weichenstellungen für alle vier Leuchtturmprojekte getroffen wurden, startet H2-Grid ab 2023 mit ersten konkreten Umsetzungen in der Region Reutlingen-Tübingen.

Bei H2-Grid geht es um den Aufbau dezentraler Wasserstoffanlagen in Kommunen, Quartieren, Industrie und Haushalten und einen damit verbundenen lokalen und netzdienlichen Betrieb sowie auch um die Wasserstoff-Vermarktung. Kommunale Stadtwerke der Region arbeiten Hand in Hand mit Hochschulen und Industriepartnern. Mehrere Teilprojekte ergänzen sich bei H2-Grid zu einem Gesamtsystem, gehen aber in verschiedene Richtungen. Die Vernetzung von Wasserstofferzeugung und -verbrauch und die Herstellung eines maximalen ökologischen und ökonomischen Nutzens von Wasserstoff-Infrastrukturen ist die gemeinsame Zielvorstellung.

„Das Knowhow verschiedener Akteure und die ganz unterschiedlichen Blickrichtungen auf das komplexe Thema Wasserstoff bringen dem Leuchtturmprojekt H2-Grid wertvolle Impulse“, sagt Dr. Achim Kötzle, Generalbevollmächtigter für Netze und Konzessionen der Stadtwerke Tübingen (swt) stellvertretend für die Projektgruppe H2-Grid. „Neben der H2-Produktion soll vor allem die konkrete und alltagstaugliche Nutzung von Wasserstoff im Vordergrund stehen. Wir müssen lernen, Wasserstoff immer dann aus erneuerbarem Strom zu produzieren, wenn viel Wind weht und die Sonne scheint, so entlasten wir unsere Stromnetze. Die Forschung zu H2 stellt dabei ein wesentliches Fundament dar.“

Wasserstoff-Produktion: Elektrolyse

Die Herstellung von Wasserstoff in Elektrolyseuren ist Ausgangspunkt einer Wasserstoff-Infrastruktur. Dazu planen die Akteure von H2-Grid die Installation von Elektrolyseuren – in unterschiedlichen Größen von 5 bis 500 Kilowatt (kW) – mit dazugehörigen Entnahmestellen in der Region. Die am Projekt beteiligten Hochschulen untersuchen unter anderem auch die Wirtschaftlichkeit und den Betrieb insbesondere kleiner Elektrolyseure. Besonders interessant ist der von mehreren Stadtwerken verfolgte Ansatz, Elektrolyseure nach Möglichkeit in ein Nahwärmenetz einzubinden und dadurch auch für die Nahwärmeversorgung einzusetzen.

Ein möglicher Standort für eine Wasserstoff-Tankstelle mit angeschlossenem Elektrolyseur mit 500 kW liegt im Stadtgebiet Tübingens. Die Stadtwerke Tübingen könnten dort mithilfe der Sektorkopplung ein Nahwärmequartier versorgen.

Die FairEnergie und FairNetz Reutlingen planen die Errichtung und den Betrieb eines 120 kW Elektrolyseurs. Dieser soll entweder in die Fernwärmeerzeugung Reutlingens oder in die Nahwärmeversorgung eines Quartiers in der Reutlinger Umgebung eingebunden werden. In beiden Varianten kann der Elektrolyseur durch seinen netzdienlichen Betrieb zur Stromnetz-Stabilisierung beitragen.

Bei den Stadtwerken Mössingen wird ein Elektrolyseur mit einer Leistung von 100 kW geplant. Der erneuerbare Strom stammt unter anderem aus einer nahe gelegenen Photovoltaikanlage. Die entstehende Abwärme wird in das angrenzende Wärmenetz eingespeist und soll das Freibad Mössingen sowie die anliegende Schule regenerativ beheizen.

Die Stadtwerke Rottenburg werden einen Elektrolyseur mit einer Leistung von 100 kW in Betrieb nehmen. Der Elektrolyseur soll bei der Heizzentrale im Wohngebiet „Dätzweg“ stehen. Bei der Herstellung des Wasserstoffs wird Abwärme erzeugt und direkt für die Wärmeversorgung im Rottenburger Wohngebiet „Dätzweg“ genutzt. Der erzeugte Wasserstoff wird zudem gespeichert und nach Bedarf in der Heizzentrale für die Wärmeversorgung genutzt. Wasserstoff wird mit bis zu 20 Prozent in das Erdgas-Blockheizkraftwerk beigemischt. Dadurch verringert sich der Einsatz von Erdgas für die Wärmeversorgung. Der Einsatz von grünem Wasserstoff ist damit besonders klimafreundlich, auch weil bei der Verbrennung lediglich Wasser entsteht. Außerdem ist geplant, mit dem grünen Wasserstoff eine Brennstoffzelle zu betreiben, die Strom für mehrere E-Ladestationen liefert.

Auch im Green Innovation Park (GIP) der am Projekt beteiligten Firma SÜLZLE aus Rosenfeld (Landkreis Rottweil) soll ein Elektrolyseur mit 500 kW entstehen. Der Betrieb soll mit Hilfe der überschüssigen elektrischen Energie aus den zukünftigen PV-Anlagen auf den Dächern des GIP erfolgen. Der dabei erzeugte grüne Wasserstoff wird über H2-Grid an Abnehmer in der Modellregion vermarktet. Aber auch eine Rückverstromung für den Gewerbepark selbst ist eine mögliche Variante.

Digitale Infrastruktur

Die dezentrale Struktur sowie die hohe Volatilität von erneuerbaren Energieerzeugern erfordern angepasste Kommunikations- und Regelstrategien. Zum einen steigt die Anzahl der Akteure auf der Erzeugerseite (Wind, Solar, Fossil). Da die regenerativen Erzeuger unabhängig von der Nachfrage Strom erzeugen, wächst auf der anderen Seite der Bedarf an regelbaren Verbrauchern. Dies erhöht die Anzahl der Akteure auf der Verbraucherseite (regelbare Verbraucher) massiv. Darüber hinaus gibt es Akteure, die sowohl Erzeuger als auch Verbraucher (z. B. Elektrolyseure) sein können – die sogenannten Prosumer (also Producer & Consumer). Durch die hohe Volatilität sowie den Mix aus fossilen und erneuerbaren Energieträgern wird man zwischen unterschiedlichen Klassen von Verbrauchern (verschiebbar vs. nicht verschiebbar), Erzeugern (hinsichtlich CO2-Ausstoß) und Energieformen (erneuerbare, fossile, Überschuss-Energie) unterscheiden und in den Regelstrategien berücksichtigen müssen. Innerhalb des Projekts H2-Grid wird dazu ein dezentraler Regelansatz mit minimalem Datenaustausch zwischen den Akteuren verfolgt, in dem die Steuerung der Elektrolyseure vor Ort geschieht und die notwendige Vernetzung für den Datenaustausch über eine schnelle und sichere Kommunikationsinfrastruktur realisiert wird.

Engineering und angewandte Forschung

Das Projekt H2-Grid bildet die gesamte Wertschöpfungskette von der Bereitstellung des grünen Stroms, der Erzeugung des grünen Wasserstoffs, der Nutzung der Abwärme, dem Transport bis zur Nutzung des Wasserstoffs ab. Dieser ganzheitliche Ansatz unter Berücksichtigung aller Energiesektoren (Strom, Wärme, Mobilität) und der Netzstabilität (beziehungsweise Netzdienlichkeit) ist das wesentliche innovative Moment des H2-Grid-Projektes. Während es bereits Projekte und Lösungen für die Einzelaspekte gibt, arbeiten die Partner im H2-Grid-Projekt an der Vernetzung und dem wirtschaftlichen Betrieb der gesamten Wertschöpfungskette. Die Entwicklung der notwendigen Technologien und der Nachweis der Qualität, um die einzelnen Teilbereiche zu vernetzen und den Betrieb ökonomisch und ökologisch zu optimieren ist dabei ein wesentlicher Aspekt. Zur Umsetzung der Kommunikations- und Regelkonzepte entwickelt das Projekt H2-Grid die notwendige Hardware, Software und Engineering-Prozesse und erprobt diese. Außerdem stehen Untersuchungen im Fokus, die den Einfluss der Betriebsführung auf die Qualität des Wasserstoffs, die Netzdienlichkeit sowie die Lebensdauer der Elektrolyseure untersuchen.