Informationen aus dem Archiv

Als ein letztes Ergebnis ihrer Arbeit im Stadtarchiv übergab die neue Museums- und Archivleiterin Franziska Blum Herrn Oberbürgermeister Michael Bulander feierlich das neue Findbuch des von ihr in den letzten Jahren verzeichneten Archivbestandes. Bei diesem handelt es sich im Wesentlichen um die ehemalige Hauptamtsregistratur mit Akten aus der Zeit Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1980er-Jahre. Insgesamt 20 laufende Meter Aktenmaterial ist nun mit Titeln und Signaturen versehen und damit recherchierbar. Der Bestand umfasst insgesamt 1.118 Titel. Interessierten Nutzern stehen diese Archivalien ab sofort zur Einsichtnahme im Stadtarchiv offen. Was ist darin zu finden? Eigentlich alles querbeet. Von A wie Apotheken über M wie Molkerei oder Mosterei bis Z wie Zwangsarbeiter. Besonders interessant findet Museumsleiterin Blum die Archivalien zu den örtlichen Gaststätten und Gewerben.
 
Ein erster umfassender Archivbestand Mössingen wurde bereits 1959 von Archivar Dr. Karl-Friedrich Eisele verzeichnet. Mit dem Neubau des Rathauses Anfang der 1980er-Jahre zog die Verwaltung aus dem alten Ortskern in die Freiherr-vom-Stein-Straße 20. Der damals in der Gottlieb-Rühle-Schule lagernde Archivbestand wurde ebenfalls an den neuen Standort umgezogen und in einem für Archivzwecke eingerichteten Raum im Untergeschoss untergebracht. Dieser gut strukturierte Bestand wurde vom ehemaligen Ersten Beigeordneten Eugen Anstätt, der das Archiv jahrelang ehrenamtlich betreute, in den 1980er- und 1990er-Jahren in sich erweitert und teilweise umgeordnet.
2011 erhielt das Stadtarchiv Mössingen im Bereich des ehemaligen Ratskellers neue Räume, die die Möglichkeit eröffneten, sämtliche Stockwerksregistraturen des Hauses zu übernehmen. Neben den Registraturen der einzelnen Fachbereiche wie Hauptamt, Bürgerservice/Ordnung und Verkehr sowie Bauen und Liegenschaften wurden zudem die Archivbestände der seit 1971 eingemeindeten, heutigen Stadtteile Talheim und Öschingen aus den dortigen Rathäusern übernommen. Das Archiv mit Altregistratur kann heute demnach umfassend Anfragen aus der Verwaltung sowie von interessierten Nutzern von außerhalb bedienen. Das jahrzehntelang ehrenamtlich betreute Archiv weist einen immensen Verzeichnungsrückstand auf, mit dem das Archivpersonal die nächsten Jahrzehnte beschäftigt sein wird. Ein erster Schritt ist mit dem neu verzeichneten Bestand getan. „Interessierte Archivbesucher dürfen kommen und forschen“, so Blum zu Oberbürgermeister Bulander.
Einen der größten Bestände im Mössinger Stadtarchiv bilden die sogenannten Inventuren und Teilungen. Diese dicken ledergebundenen Bände wurden in den württembergischen Städten und Gemeinden über mehrere Jahrhunderte angefertigt. In Mössingen umfassen sie eine Anzahl von über 250 Exemplaren und gerade Schulklassen zeigen sich bei Archivführungen von diesen prächtigen Bänden besonders beeindruckt. Was enthalten sie?
 
Regalmeterweise Inventuren und Teilungen im ArchivTestament aus dem Archiv
Regalmeterweise Inventuren und Teilungen im Archiv, in denen auch Testamente enthalten sind
 
Bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) 1899 war es in Württemberg gesetzliche Verpflichtung, dass der Nachlass eines Verstorbenen in einem offiziell niedergeschriebenen Verzeichnis aufgelistet wurde. Dieses sollte innerhalb von 30 Tagen nach Tod des Erblassers erstellt werden, so dass die Teilung unter den Erben spätestens nach drei Monaten erfolgen konnte.
Ebenso hatte jeder Bürger sein Vermögen bei seiner Heirat verzeichnen zu lassen (Inventur), so dass sich noch nach Jahrzehnten feststellen ließ, welcher Ehepartner welches Vermögen mit in die Ehe gebracht hatte und was während der Ehe erwirtschaftet wurde. So sollten Erbstreitigkeiten vermieden werden. Die Auflistungen umfassten neben Gebäuden und Grundstücken jeden Gegenstand des täglichen Lebens: Bargeld, Möbel, Schmuck, Bücher, Kleider, Bett- und Tischtücher, Geschirr, Werkzeug, Vorräte, Getränke und Essen. Der Schreiber ging dabei von Raum zu Raum und schrieb alle beweglichen Güter - wie er sie vorfand - in der Liste nieder. Nicht immer wurde eine geordnete Reinschrift als Endfassung hergestellt. Nach einer gewissen Zeit wurden die Listen chronologisch in Bänden gebunden und mit Ledereinband versehen.
Für die Erforschung der Alltags- und Sozialgeschichte eines Ortes sind die Inventuren und Teilungen von großer Bedeutung, geben sie doch detaillierten Einblick in frühere Besitzverhältnisse. Sogar die Titel der Bücher, die in den örtlichen Haushalten zu finden und zu lesen waren, lassen sich ermitteln. Allerdings waren dies oft nicht viele Exemplare. Zum festen Bestand gehörten in fast jedem Haushalt eine Bibel, ein Gesang- und ein Gebetbuch. So ist es auch im Inventar des Talheimer Bauern Johann Plankenhorn und seiner Ehefrau Margarethe aus dem Jahr 1863 aufgeführt. Als besondere Gegenstände brachte der Mann eine „silberne Uhr, samt Kette“ und die Frau „Gold-, Silbergeschmuck“ im Wert von einem Gulden und ein „Spinnrädle“ mit in die Ehe.
LuckenbuchEintrag aus dem Luckenbuch
Vor 200 Jahren bewirtschafteten die Bauern ihre Felder noch in der Dreifelderwirtschaft. Während auf dem einen Feld Sommerfrucht und dem nächsten Winterfrucht angebaut wurde, lag das dritte brach. Die brachliegenden Stücke dienten dabei als Zufahrtswege, Feldwege gab es nämlich kaum. Da sich die Wege jedes Jahr änderten, wurden die Überfahrtsrechte im sogenannten Luckenbuch geregelt.
Mit Lucken sind die „Lücken“ in Zäunen und Hecken bezeichnet, die die Bauern mit ihren Fuhrwerken oder ihrem Vieh durchquerten. Um keinen Streit über die Wegerechte aufkommen zu lassen, verzeichnete die Gemeinde diese im Luckenbuch und verlas sie im Frühjahr öffentlich. So ist im Mössinger Luckenbuch aus dem Jahr 1770 (B 555) zu lesen: „Hans Jacob Wagner, Bauer hat in der blumenkuchen an seinem Acker eine Triebluck zu tragen, welche zu Frühlings- und Herbstzeiten befahren werden darf.“ Im Talheimer Luckenbuch von 1736 (B 91) finden sich zudem Wegeverbote. So sollte „der Weg hinder der Breygen, auf Hanß Jerg Haugen Wiß gäntzlich verboten“ sein.
Ein anderer Durchgang, und zwar durch den Ortszaun oder den sogenannten Etter, bildete das „Falltor“. Es fiel – wie der Name sagt – von allein wieder zu, grenzte die Dorfmark innerhalb des Etters von den Wiesen und Äckern außerhalb ab und verhinderte damit, dass das Vieh ins Dorf lief. Der Etter markierte aber auch das rechtliche Hoheitsgebiet der Dorfgemeinde. Landesbeamte konnten beispielsweise Straftäter nur außerhalb des Dorfetters gefangen nehmen. Der Mössinger Etter erstreckte sich von der Peter-und-Paulskirche in westlicher Richtung zwischen Langen Gasse und Grabenstraße und endete an der Sulz-, Bach- und Hilbgasse. Die diagonal verlaufende Falltorstraße ist noch nach dem alten Ettertor benannt.
Einen Meilenstein auf dem Weg zur Gleichberechtigung erreichte die Frau in der Weimarer Republik. Im Januar 1919 durften Frauen reichsweit erstmals wählen und gewählt werden. Auch im Eherecht wurde die Gleichstellung der Geschlechter betont, was die Scheidungsraten ansteigen ließ. Beispiele von Rechtsfällen aus dieser Zeit sind auch im Stadtarchiv zu finden, da eine Reihe von kleineren Streitfällen damals noch vor dem örtlichen Gemeindegericht verhandelt wurde.
 
Rechtsstreitigkeiten
 
Im Archivbestand Öschingen (A 17) findet sich ein Rechtsfall des Jahres 1930, in dem die Hebamme Anna Strohmaier ihren früheren Ehemann auf die Herausgabe eines von ihr in die Ehe eingebrachten Mostfasses verklagte. Am 11. Dezember 1930 legte die Klägerin vor dem zehnköpfigen Gemeindegericht, das sich aus Schultheiß und Gemeinderat zusammensetzte, sowie dem beklagten früheren Ehemannes dar, dass sie im Januar 1920 drei Mostfässer mit in die Ehe eingebracht habe. Im Dezember 1928 sei sie aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen, „weil sie es bei ihrem Mann nicht mehr aushalten konnte“ und nahm das kleine Fässchen mit. Die beiden anderen Fässer mit jeweils 245 Liter und 325 Liter Fassungsvermögen musste sie dagegen deshalb zurücklassen, weil diese zu diesem Zeitpunkt noch mit Most gefüllt waren. Nachdem die Ehe im Dezember 1929 geschieden worden war, holte Anna Strohmaier im folgenden Januar das zweitgrößte, inzwischen leere Fass mit 245 Liter ab. Das dritte Fass wurde schließlich vom Rottenburger Gerichtsvollzieher offiziell gepfändet und der Inhalt an den Bruder des einstigen Ehemannes für 10 Reichsmark verkauft.  Die Klägerin erklärte: „Ich habe schon verschiedene Male versucht, mein Fass zu bekommen, aber mein früherer Ehemann verweigert die Herausgabe.“ Der Beklagte behauptete nämlich, nicht nur der Inhalt, sondern auch das Fass selbst sei an seinen Bruder verkauft worden. Der Fall, in dem Aussage gegen Aussage stand, gestaltete sich schwierig. Da das Gemeindegericht die Eigentumsverhältnisse nicht klären konnte, verwies es den Fall an das Rottenburger Amtsgericht. Wie das Urteil dort ausfiel, lässt sich aus den im Stadtarchiv vorliegenden Unterlagen leider nicht herauslesen. Eventuell ist das Rottenburger Urteil in einem anderen Archiv überliefert. Dieses Öschinger Beispiel sowie andere Fälle dieser Art gewähren jedoch Einsichten in die Amtspraxis der Dorfgerichtsbarkeit sowie in das örtliche Alltagsleben um 1930.
Haben Sie Fragen ans Stadtarchiv? Sie erreichen uns telefonisch unter 0 74 73 / 37 0 – 1 56 oder per E-Mail: stadtarchiv(at)moessingen.de
„Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet“ - so lautet der Artikel 11 unseres Grundgesetzes und beinhaltet, dass jeder Bürger seinen Wohn- und Aufenthaltsortes grundsätzlich frei wählen darf.  Im 19. Jahrhundert sahen die Bestimmungen zur Wohnortswahl dagegen anders aus. Ein Mössinger beispielsweise hatte neben dem Staatsbürgerrecht des Königreiches Württemberg auch das Mössinger Gemeindebürgerrecht inne. Wollte er sich an einem anderen Ort in Württemberg niederlassen, musste er das dortige Bürgerrecht erwerben. Die Aufnahme in dasselbe war an ein gewisses Vermögen und ein „gutes Prädikat“ gebunden. Der Neubürger leistete schließlich einen Eid auf die Rechtsordnung der Gemeinde, entrichtete eine Aufnahmegebühr und zahlte in der Folge eine jährliche Bürger- bzw. Recognitionssteuer.
Im Stadtarchiv sind die Bürgerverzeichnisse von Mössingen, Belsen, Öschingen und Talheim aus dem 19. Jahrhundert vorhanden. In diesen findet man namentlich alle in der jeweiligen Gemeinde lebenden Bürger mit Beruf, Geburtsdatum, Geburtsort, Art und Datum des Bürgerrechtserwerbs sowie die Art und den Zeitpunkt des Austritts aus dem Bürgerrecht bzw. das Erlöschen durch Tod.
Bürgerverzeichnis von MössingenBürgerverzeichnis von Mössingen aufgeschlagen
Die häufigste Begründung des Bürgerrechtserwerbs war die der „Bürgersohnschaft“. Das volle Bürgerrecht, mit dem auch die Übernahme eines politischen Amtes wie beispielsweise das eines Gemeinderats verbunden war, galt nur für Männer. Frauen waren in dieser Zeit in das Recht des Vaters oder des Ehemannes miteinbezogen. Der Bürgerrechts-Status bestand auch in Ortsabwesenheit weiter, wenn nicht ein Verzicht erklärt wurde. Die Gemeinde trieb dann auch bei den Ortsabwesenden die Bürgersteuer ein. 1888 bat der Belsener Steuereinnehmer Dieth den Schullehrer Georg Müller in Birkenfeld um die Entrichtung der „rückständigen Recognitionsgebühr von 6 M[ark] pro 1886/87.“ Müller erwiderte, dass er bereits 1886 seinen Verzicht auf das Mössinger Bürgerrecht erklärt und die Gebühr somit nicht mehr zu entrichten habe. Er wurde daraufhin aus der Bürgerliste gestrichen. Auf viele Anschreiben erhielt die Gemeinde aber auch keine Antwort, so dass der Gemeinderat die ehemaligen Einwohner per Ratsbeschluss aus dem Bürgerrecht ausschloss. In den örtlichen Bürgerlisten im Stadtarchiv ist eine hohe Anzahl von Auswanderungen verzeichnet. Der Bäcker Johannes Mader war im September 1846 nach Siebenbürgen ausgewandert und hatte wohl auf sein Bürgerrecht verzichtet. Als er nach zwei Jahren wieder nach Mössingen zurückkehrte, galt er als „Heimatloser“. Ein neues Bürgerrecht erwarb er nicht mehr, 1859 wanderte er endgültig nach Amerika aus. Die Bürgerlisten vermitteln einen interessanten Einblick in die Einwohner- und Sozialstruktur der jeweiligen Gemeinde.
Dieser Artikel wie auch alle bereits früher erschienen „Blicke ins Archiv“ sind online nachzulesen unter: www.moessingen.de/Aktuelles/Blick ins Archiv. Haben Sie Fragen ans Stadtarchiv? Sie erreichen uns telefonisch unter 0 74 73 / 37 0 – 1 56 oder per E-Mail: stadtarchiv(at)moessingen.de
Im Stadtarchiv Mössingen findet sich eine Reihe von sogenannten Pflegschaftsrechnungen aus dem 19. Jahrhundert, in dem die stellvertretende Vermögensverwaltung für unmündige oder abwesende Personen dokumentiert ist. Was sich trocken anhört, ist oft spannend zu lesen. Die Unterlagen geben einen detaillierten Einblick in den Lebensalltag der Zeit. Nicht selten sind darin Erbangelegenheiten dokumentiert, bei denen ein Pfleger für ausgewanderte Erbberechtigte tätig wurde.
1880 verwaltete der Öschinger Konrad Schneider den Erbteil des seit einigen Jahren nach Amerika ausgewanderten Johannes Lutz. Einige Jahre zuvor hatte der Vater Konrad Lutz den Sohn bereits brieflich darum gebeten, eine Vollmacht zugunsten von Konrad Schneider zu unterschreiben. Die Notwendigkeit der Stellvertretung sah Johannes Lutz damals noch nicht gegeben, schrieb er doch an seinen Vater: „Ihr schickt mir eine Vollmacht, lesen kann ich sie, aber was es bedeuten soll, kann ich nicht ausrechnen.“ Vielmehr berichtete er über seine schwache Gesundheit und seine Hoffnung, dass es dem Vater gesundheitlich gut ginge: „Lieber  Vater, ich hätte viel mit dir zu sprechen, wenn ich nur 2 Stunden in deiner Anwesenheit wäre.“ Ob er nochmal dazu Gelegenheit hatte, ist aus der Akte nicht ersichtlich, aber sehr unwahrscheinlich. Der Weg von Washington im Staate Arkansas nach Öschingen war weit und die Überfahrt über den Atlantik machten die Auswanderer in der Regel nur einmal. Fünf Jahre später verstarb der Vater und der inzwischen bevollmächtigte Pfleger Konrad Schneider konnte für den Sohn tätig werden. Er verkaufte die ererbten Äcker, Wiesen und Waldstücke und ließ dem Johannes Lutz die Verkaufssumme in Höhe von $ 308,75 per Wechselpapier im Februar 1881 in Amerika zukommen.
Anders erging es der aus Öschingen stammenden Barbara Meyer, die 1894 aus Louisville, Kentucky in Öschingen nachfragte, wo denn das ererbte Geld von ihrer Großmutter bliebe. Der „Dette“ oder Patenonkel Paulus Rein hatte als amtlich bestellter Pfleger das Geld bereits zehn Jahre zuvor an das Amtsnotariat Mössingen gegeben. Erst auf Anfrage von Barbara Meyer wurde es schließlich über das Bank- und Wechselgeschäft Carl Laiblin in Heilbronn nach Louisville, Kentucky überwiesen.
Für Familienforscher können diese Archivalien eine interessante Quelle sein.
Mössingens Stadtteile Talheim und Öschingen schrieben bis zu ihrer Eingemeindung 1971 ihre ganz eigene Ortsgeschichte. Nachzuforschen ist diese in den jeweiligen Ortsarchiven, die lange Zeit noch in den örtlichen Rathäusern aufbewahrt waren. Stadtarchivarin Franziska Blum fand die beiden Archivbestände bei Beginn ihrer Tätigkeit  vor 6 Jahren in ganz unterschiedlichem Zustand vor. Der Talheimer Archivraum war zu feucht, der Öschinger zu trocken und zu hell. Beide „Klimaextreme“ sind sehr schädlich für alte Unterlagen.
 
Besonders dringend musste in Talheim gehandelt werden, da die Archivalien Schimmelbefall zeigten. Im dortigen Archivraum lag unter den Holzdielen noch der gestampfte Boden, was jahrzehntelang unproblematisch war. Mit dem Einbau neuer Fenster im Rathaus wurde der Archivraum jedoch fast luftdicht abgeschlossen. Die fehlende Luftzirkulation ließ die Luftfeuchtigkeit steigen und auf den Archivalien wuchs der Schimmel. Auch ein Luftentfeuchter konnte nichts mehr bewirken. Archivarin Blum ließ das Talheimer Archiv mit seinen 43 laufenden Regalmetern im August 2011 durch ein Team von Buchrestauratoren der Werkstatt Raum aus Römerstein verpacken und abtransportieren. Die Archivalien wurden gereinigt und restauriert und sind seit Mai 2012 im Stadtarchiv im Rathaus Mössingen untergebracht.
 Reinigung und Restaurierung der Öschiner ArchivalienReinigung und Restaurierung der Öschiner Archivalien
 
In Öschingen befand sich das Ortsarchiv bis Ende letzten Jahres in einem Dachgeschossraum des Rathauses neben der Kinder- und Jugendbücherei, der sich im Sommer extrem aufheizt und nicht abzudunkeln ist. Extreme Temperaturschwankungen (im Sommer über 30° C) und Helligkeit setzten den alten Bänden so zu, dass Ledereinbände und Papier spröde und brüchig wurden. Auf den Ledereinbänden waren vor einigen Jahrzehnten zudem Signaturen und gebrochene Buchrücken mit Klebeband fixiert worden. In einer ganztägigen Aktion im November 2014 wurde der Archivbestand von Restauratoren der Werkstatt Raum vor Ort gereinigt, von Klebestreifen befreit und mit neuen Signaturen mit reversiblem Weizenstärke-Kleister bestückt.
 
 Einräumen der Rollregale durch die KBF-Schülerfirma
 Den Umzug ins Mössinger Stadtarchiv bewerkstelligte Frau Blum dann mit der KBF-Schülerfirma der Dreifürstensteinschule. Die Schüler waren von den dicken Lederbänden, die in den Umzugskartons schwer wogen, sichtlich beeindruckt. In dieser Woche nun räumten sie die letzten Archivalien aus den Kartons an ihren neuen Platz in den klimatisierten Magazinräumen im Rathaus Mössingen.
 

Einräumen der Rollregale durch die KBF-Schülerfirma
 
Im Stadtarchiv, Freiherr-vom-Stein-Str. 20 stehen die Ortsarchive Talheim und Öschingen (Zeitraum: 17. bis Mitte 20. Jahrhundert) für Interessenten zur Einsichtnahme bereit. Bei Fragen und Interesse: E-Mail f.blum(at)moessingen.de oder Tel.  0 74 73 / 37 0 – 1 56
Einer der ältesten Frauenberufsstände kämpft derzeit ums Überleben. Durch die jüngst verteuerte Berufshaftpflicht kommen selbständige Hebammen finanziell unter Druck und viele Praxen schließen. Dass das relativ moderne Phänomen der Haftpflicht den seit der Antike bekannten Beruf der Hebamme gefährdet, ist dramatisch.
Kinder wurden bis in die Anfänge des letzten Jahrhunderts zu Hause zur Welt gebracht. Geburtshilfe leisteten die Hebammen. Ab dem 19. Jahrhundert verlangten zwar Medizinalverordnungen, dass bei schwierigen Geburten ein Arzt zu rufen sei. Doch in ländlichen Gebieten war dieser häufig weit entfernt und die Hebamme oft auf sich selbst gestellt.
Mössinger Geburts-TagebuchMössinger Geburts-Tagebuch aufgeschlagen
In Mössingen betreute Mitte des 19. Jahrhunderts die Hebamme Barbara Strohmaier die örtlichen Geburten. Ihre akribische Dokumentation jeder Niederkunft ist heute noch im Geburts-Tagebuch (B 595) des Stadtarchivs nachzulesen. Am 15. September 1860 wurde die Hebamme beispielsweise „nachts um 1 Uhr“ zu der 19jährigen Ehefrau des Bernhard Mang gerufen, die nach drei Stunden einen „lebenden“ und „reifen“ Knaben zur Welt brachte. In diesem Fall war es die erste Geburt der Mutter. Sechs Jahre später brachte dagegen eine 44jährige Mössingerin ihr 19. Kind (!), ein Mädchen, zur Welt. Dass der Vorname der Mutter in der Tabelle keine Erwähnung fand, war der Rechtsstellung der Ehefrau als des Hausvaters „Weib“ geschuldet. Lediglich bei Müttern unehelicher Kinder wurde der volle Name niedergeschrieben. Jährlich Ende Juni legte die Hebamme dem Pfarrer die Tabelle der etwa 50-70 Geburten zum Abgleich mit den Kirchenbüchern vor.
Die Liste dokumentiert den genauen Verlauf der Geburt. Kam es zu Komplikationen, endete es nicht selten für Kind und Mutter tödlich. Dennoch weist die Liste unvermutet wenige Totgeburten auf. Der Blick ins Mössinger-Belsener Ortsfamilienbuch zeigt jedoch, dass zahlreiche Nachkommen das Erwachsenenalter nicht erreichten. 1870 lag die Kindersterblichkeit in Deutschland noch bei 25%. Nicht selten findet sich auch bei Zwillingsgeburten der Vermerk „lebend“. Doch gerade diese Kinder starben häufig noch in den ersten Lebensmonaten. Im Juni 1858 brachte dagegen die 36jährige Anna Maria Lutz nach fünfstündiger Geburt als 9. und 10. Kind die Zwillinge Margaretha und Waldburga zur Welt. Beide Schwestern erreichten das für die damalige Zeit fast biblische Alter von 80 und 82 Jahren.
Eine interessante Quelle der gemeindlichen Überlieferung sind die Gemeinderatsprotokolle (bis 1825 Gerichtsprotokolle genannt), deren fast lückenloser Bestand im Stadtarchiv im Jahr 1780 einsetzt. Der Protokollband 1812-1815 offenbart einen Einblick in die Lebenswirklichkeit des Steinlachtals vor 200 Jahren, wo auch die große Politik ihre Auswirkungen zeigte. 1812 war Napoleon mit seiner Großen Armee nach Russland gezogen. Mit dabei waren 16.500 württembergische Soldaten, auch Männer aus dem Steinlachtal wie der 22-jährige Johannes Göhner aus Mössingen. Göhner kehrte wie die meisten Soldaten nicht mehr zurück. Während die einen ihr Leben im Kampf oder in der unerbittlichen Kälte des russischen Winters einsetzten, betrieben andere auf dem Feldzug ihr Handelsgeschäft. Der Mössinger Branntweinhändler Conrad Wagner schilderte im  August 1815 dem Gemeinderat,  dass er zusammen mit dem Talheimer Johann Adam Friz „mit einem gemeinschaftlichen Handelswagen als förmlich angestellte Marquetender“ 1812 mit der Großen Armee nach Russland gezogen war. Wagner kehrte zurück, der Talheimer Friz blieb vermisst.
 Der Mössinger ObstbrandGemeinderatsprotokolle ab 1780 im Mössinger Archiv
Zur Aufgabe der Gemeinde gehörte in dieser Zeit auch das Abhalten des Dorfgerichts, das über die bürgerliche wie auch die niedere strafrechtliche Gerichtsbarkeit entschied. So finden sich in den Protokollen die Urteile über Nachbarschaftsstreitigkeiten oder die Ahndung von Holzdiebstählen. Auch die Aufnahmen ins Bürgerrecht der Gemeinde sind in den Protokollen niedergeschrieben. Am 28. Oktober 1814 wurde als Mössinger Neubürger Friedrich Carl Wiedersheim aufgenommen, der im folgenden Jahr die erste Apotheke im Ort eröffnete. In seiner Aufgabe der Überwachung der öffentlichen Ordnung setzte Schultheiß und Magistrat im Juni 1815 Conrad Rath als Bettelvogt in Belsen ein, der als Invalid „mit einem lahmen Arm zu anderen Geschäften untauglich“ war. Die Notwendigkeit wurde begründet: „… indem [in Belsen] so sehr viele arme Leute täglich herumlaufen, besonders da ihnen bekannt ist, daß niemand zur Abtreibung [Vertreibung] derselben vorhanden ist.“
 
Im Schwäbischen kennt man den Begriff „Flecka“ für ein kleines Dorf oder einen Ort. Das im Stadtarchiv befindliche „Fleckenbuch“ bezeichnet demnach ein altes Ortsbuch, in dem rechtliche Gegenstände wie Verträge oder Vereinbarungen niedergeschrieben wurden. Das Mössinger Fleckenbuch setzt im Jahre 1674 ein.

Fleckenbuch"Güthlicher Vergleich", 1738 
Am 21. Juni 1693 wird erwähnt, dass der Tübinger Untervogt in Mössingen und Belsen neue Schultheißen einsetzte: „Schuldhaiß alhir zu Mößingen Michael Streib. Schuldhaiß zu Belßen Hannß Wagner.“
Eine Eintragung aus demselben Jahr gibt darüber Aufschluss, dass es in Folge des Pfälzischen Erbfolgekriegs zu Einfällen und Plünderungen von marodierenden Franzosen im Steinlachtal gekommen war. Ende September dieses Jahres spendeten eine Reihe Mössinger und Belsener Bürger Geld, mit dem die entstandenen Schäden behoben werden sollten.
Auch Rechtsstreite zweier Parteien, die vor dem Schultheißen als Richter zur Verhandlung kamen, wurden im Fleckenbuch niedergeschrieben. Oft ging es um Wegerechte, die von allgemeiner Relevanz waren. Bei einem Rechtsstreit zwischen dem Bäcker Michael Mayer und dem Metzger Georg Nill war es durch den Schultheißen Hans Jakob Streib 1738 zu einem gütlichen Vergleich gekommen, der  öffentlich verkündet wurde: „Kundt und zu wißen sey hiermit jedermänniglich, sonderlich denen es zu wissen nöthig …“

Die beiden Nachbarn, die im Kugelbeer eine „unter einem Dach stehende Scheüren“ gemeinsam nutzten, waren miteinander in Streit geraten. So bestimmte der Schultheiß, dass „von beiden Partheyen der wandel [Weg] gemeinschaftlich wie vorhin solle gebraucht werden“ und setzte unter anderem den Markstein [Grenzstein] wieder ein. Schultheiß Streib war demnach auch in der Funktion des sogenannten „Untergängers“ oder „Umgängers“ tätig, d.h. als beeidigte Person, welche die Markungsgrenzen zu „umgehen“ und Marksteine zu prüfen hatte. Ein sogenanntes „Untergangsprotokoll“ zeugt also nicht von einer Katastrophe, sondern von der Prüfung der Markungsgrenzen.

Familienforscher, die etwas über ihre Vorfahren in der Zeit nach 1876 erfahren wollten, mussten sich vor ein paar Jahren noch an das jeweilige Standesamt wenden. Auskünfte aus den Personenstandsakten des Amtes waren aber nur für Personen möglich, die in direkter Linie verwandt, von einem solchen Verwandten bevollmächtigt wurden oder ein rechtliches Interesse nachweisen konnten. Seit dem 1.1.2009 ist nun alles einfacher. Für die Personenstandsakten gelten inzwischen bestimmte Fristen: für das Geburtsregister sind das 110 Jahre, für das Heiratsregister 80 Jahre und für das Sterberegister 30 Jahre. Nach Ablauf dieser Fristen werden die Register Archivgut und sind damit für interessierte Personen im Archiv deutlich leichter zugänglich. Das bedeutet, dass aktuell die Geburtsregister vor dem 1.1.1902, die Heiratsregister vor dem 1.1.1932 und Sterberegister vor dem 1.1.1982 im Archiv einsehbar sind. Diese Personenstandsakten reichen bis zum Jahr 1876 zurück, in dem in Deutschland Standesämter eingerichtet wurden. Familienforscher können sich nun also mit ihren Anfragen für diese Zeiten an das jeweilige Archiv wenden. 
Personenstandsakten im Stadtarchiv MössingenOrtsfamilienbuch Mössingen und Belsen 1558 bis 1875
Für die Zeit vor 1876 findet man Geburten, Heiraten und Sterbefälle in den sogenannten Kirchenbüchern der Pfarrämter dokumentiert. Die handgeschriebenen Kirchenbücher sind jedoch für viele, die mit der alten deutschen Schrift nicht vertraut sind, eine Herausforderung. In Mössingen und Belsen haben wir nun das große Glück, dass der Familienforscher Hermann Griebel seit Mitte der 1990er-Jahre aus den Einträgen der Kirchenbücher,  der Grundlage von Vorarbeiten und durch ergänzende Forschungen im Stadtarchiv das „Ortsfamilienbuch Mössingen und Belsen 1558–1875“ zusammengestellt hat. Das 560seitige Werk mit seinen über 7.000 Einträgen führt die Familien von Mössingen und Belsen von 1558 bis 1875 in alphabetischer Reihenfolge auf. Was sehr trocken klingt, kann spannende Lektüre sein: Neben den Lebensdaten gibt das Buch Einblicke in Lebensweisen und Schicksale des 16. bis 19. Jahrhunderts. Am 10. Mai um 19.30 Uhr findet die Buchpräsentation im Veranstaltungsraum der Pausa-Tonnenhalle statt. Nach einem Grußwort von Oberbürgermeister Michael Bulander wird der Autor Hermann Griebel einen kurzen Einblick in seine Arbeit geben. Das Ortsfamilienbuch kann an diesem Abend und später auch im Rathaus für EUR 35,-- erworben werden.

Das Mössinger Ruggerichtsrezessbuch berichtet am 28. Juli 1856 über das überfüllte Belsener Armenhaus, in dem „sich Leute befinden, die arbeitsfähig seien“. Es wurde deshalb angeordnet, „ohne Verzug Alle aus solchem zu entfernen, die sich ihr Unterkommen selbst verschaffen können“.
 Mössinger Ruggerichtsrezessbuch
Das Ruggericht war im 19. Jahrhundert eine Bürgerversammlung, bei der die Bürger ihre Anliegen und Beschwerden vorbringen konnten. Es diente dazu, Missstände in der Gemeinde zu beseitigen. Zum Ruggerichtstermin hatten sich alle Gemeindebürger vor dem Rathaus einzufinden, wo zunächst die seit dem letzten Ruggerichtstermin in das württembergische Staatsbürgerrecht und in das Bürger- oder Beisitzrecht der Gemeinde aufgenommenen Männer den Erbhuldigungseid auf den König ablegten. 1856 waren es 25 Mössinger und 12 Belsener „Jünglinge“ im Alter von 16 bis 19 Jahren (die Abbildung zeigt auf der linken Seite die Reihe der Namen mit Geburtsdatum). Vor dem Gremium mit Oberamtmann, Gemeinderat und Bürgerausschuss trugen anschließend Bürger, ihre Wünsche und Beschwerden sowie vermeintliche „Gebrechen der öffentlichen Verwaltung“ vor. Das Ruggericht ließ das Gehörte in der Regel zu Protokoll geben und Verbesserungen anordnen. Das Protokollbuch selbst wurde im Oberamt Rottenburg (heute vergleichbar mit Landratsamt) aufbewahrt, während die Gemeinde die Abschriften im Ruggerichtsrezessbuch niederlegte. In diesem wurden auch die späteren Maßnahmen zur Mängelbeseitigung dokumentiert.
Im Falle des Belsener Armenhauses war das Vorgehen gegen die unrechtmäßig im Armenhaus Einquartierten erschwert, „da Einzelne mit der Krätze behaftet“ waren. Um weitere Ansteckungen zu vermeiden, wurde ein Arzt beauftragt, alle Armenhausbewohner zu untersuchen und zu behandeln. Die Not in Belsen und Mössingen war zu der Zeit sehr groß. Die Armenhäuser waren voll und die Wohnverhältnisse in ihnen problematisch. Das Protokoll berichtet bereits auf der nächsten Seite, dass das Gebäude des unteren kleinen Armenhauses in Mössingen „in schlechtem Zustand mit ganz schadhaftem Boden“ sei und wieder hergestellt werden sollte. 

Diese Hausbeschreibung findet sich im Mössinger Gebäudekastaster von 1823, in dem die grundsteuerpflichtigen Gebäude der Gemeinde niedergeschrieben wurden.
Die Gebäudebeschreibungen fallen ganz unterschiedlich aus. Das Mössinger Pfarrhaus mit Nebengebäuden zeigte sich im 19. Jahrhundert noch als „ein zweistockigtes Hauß mit  einer besonderen Scheuer nebst angebautem 3fachen Schweinstall und einem besonderen Waschhauß im Hof“. Weniger Raum dagegen bot „ein kleines Häußle samt Scheuerlen zu Waibach“.

Neben dem Steuerkapital sind die Besitzer aufgelistet. Manche Häuser waren unter zwei Familien aufgeteilt. Nicht selten verkleinerten sich im Erbfall die Anteile der Kinder nochmals. Die sechs Kinder der Margaretha Maier räumten ihrer Mutter und dem Großvater im Haus in der Mittelgasse 1861 ein „lebenslängliches Wohnrecht im ganzen Haus“ ein.
Das Wort "Kataster" leitet sich vom Lateinischen "capitum registrum" ab und bedeutet "Kopfsteuerliste". Das Kataster lieferte demnach die für den Grundstücksverkehr und die Grundsteuererhebung notwendigen Angaben. Heute gibt uns das alte Kataster Aufschluss über die Bauart, eventuell auch das Alter und die Eigentumsverhältnisse der alten Gebäude.