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40 Jahre Bergrutsch-Jubiläum: Vermeintliche Naturkatastrophe wurde zum Lehrbeispiel und National-Geotop


Mit Ansprachen und einer Multivisionsschau erinnerten die Stadt und Naturfotograf Armin Dieter am vergangenen Samstag, 1. April, gemeinsam an den 40. Jahrestag des seit über einem Jahrhundert größten Bergsturzes im Land. Wie sehr dieses besondere Ereignis auch heute noch die Menschen bewegt zeigt dabei auch das Publikumsinteresse. Mit rund 450 Gästen, darunter etlichen Abgeordneten, weiteren Vertretern der Politik und dem Geopark-Vorsitzenden, war die Quenstedt-Aula bis auf den letzten Platz gefüllt.

Deutschlands einziger Bergrutschführer, Armin Dieter, wurde an diesem Abend mit der städtischen Ehrenplakette ausgezeichnet.

Für sein langjähriges Engagement wurde Armin Dieter von Oberbürgermeister Michael Bulander mit der Mössinger Ehrenplakette ausgezeichnet.

„Als sich im morgendlichen Dauerregen des 12. April 1983 am nebelverhangenen Albtrauf oberhalb von Mössingen, beim Hirschkopf, ein lautes Rumoren vernehmen lässt, das sich beim Näherkommen als lautes Krachen splitternder und umstürzender Bäume, donnernd herabstürzender Gesteinsbrocken und rutschender Erdschollen deuten lässt, ist schnell klar, dass ein ungewöhnliches Naturereignis im Gange ist. Doch noch ahnt damals niemand, dass sich hier gerade der größte Bergrutsch Baden-Württembergs anbahnt“, brachte Oberbürgermeister Michael Bulander das Ereignis in Erinnerung.

Innerhalb weniger Stunden gerieten Millionen Kubikmeter Erde, geschichteter Kalkstein und Hangschutt auf einer durchnässt aufgequollenen Tonschicht in Bewegung und hinterließen, gefolgt von wochenlangen Nachrutschungen auf etwa 80 Hektar vorherigen Waldes, vor 40 Jahren eine Urlandschaft aus bis zu drei Meter hohem Geröllschlamm und Gehölzteilen. Obwohl glücklicherweise kein Mensch dabei zu Schaden kam, wurde der Bergsturz zunächst nur als Katastrophe angesehen. Viele der umgestürzten Bäume konnten jedoch später noch forstwirtschaftlich verwertet werden. Und der Bereich wurde nicht nur bald Naturschutzgebiet, sondern 2006 auch Nationales Geotop und gilt heute als das herausragende geologische Rutschungsereignis Deutschlands vom 20. Jahrhundert bis heute.

Oberbürgermeister Bulander hob insofern am Samstag hervor, dass die Stadt im Zuge der heranstehenden Erweiterung des Biosphärengebiets Schwäbische Alb dieses einzigartige Naturdenkmal dort ebenfalls gerne einbringen würde und auch daher ihr Beitrittsinteresse geäußert habe. Aus städtischer Sicht wäre das Gebiet geradezu prädestiniert, eine sogenannte Kernzone zu sein und damit modellhaft aufzuzeigen, wie sich typische Waldökosysteme im weltweiten Klimawandel natürlich anpassen.

„Die Natur zeigte uns am Hirschkopf quasi im Zeitraffer, wie die normalerweise extrem langsame Erosion des Albtraufs, der vor Millionen Jahren noch in der Stuttgarter Gegend verlief, geologisch vonstattengeht. Durchschnittlich weicht die Schwäbische Alb nur 1,6 mm pro Jahr zurück. Am Hirschkopf bei Mössingen waren es jedoch an der heute tiefsten Stelle 32 Meter in wenigen Stunden. Wir sind hier somit am Albtrauf bei Mössingen der Zeit statistisch gesehen um satte 20.000 Jahre voraus!“

Ohne den Mössinger Naturfotografen, Autor und Bergrutschführer Armin Dieter wäre das imposante Ereignis heute allerdings wohl nur noch eine helle Narbe im ansonsten grün bewaldeten Albtrauf, machte Bulander auch deutlich. Herr Dieter habe als einer der ganz wenigen bereits in den ersten Stunden nach dem Rutsch erkannt, dass dieser eine herausragende Besonderheit darstellt.

Er dokumentierte von Beginn an nicht nur in zahllosen Fotos jede Veränderung im Rutschgelände. Er informiert seither auch unermüdlich mit landesweit gefragten Bildvorträgen, im Radio und Fernsehen, in Ausstellungen, auf Messen und in bis heute gut besuchten Führungen darüber, wie die scheinbar total zerstörte Landschaft von der Tier- und Pflanzenwelt nach und nach wiederbesiedelt wurde. War zunächst von einer „biologischen Nullzone“ die Rede, siedelten sich rasch wieder Pflanzen und Tiere an. Dazu noch solche, die man hier nie vermutet hätte, etwa Teichfrösche, der Wiedehopf oder pinkfarbene Heuschrecken. Doch es blieb ein Paradies auf Zeit. Vielfach ist heute wieder „normaler“ Wald nachgewachsen.

In einer exklusiv von Armin Dieter zusammengestellten spannenden Multivisionsschau konnten die Gäste an diesem Abend das ursprüngliche Ereignis und die Entwicklung von 40 Jahren Mössinger Bergrutsch nachvollziehen. Mit Bildern aus der gleichen Perspektive, aber in zeitlichen Abständen von teils Jahrzehnten, machte Dieter die rasche Rückeroberung des Terrains durch Tiere und Pflanzen deutlich. Für Erstaunen sorgten dabei einmal mehr seine gelungenen Aufnahmen von bedrohten Arten wie Sumpfschildkröte, Alpenbock oder dem Blattlosen Widerbart, einer der seltensten heimischen Orchideen.

Auch Regierungsvizepräsident Utz Remlinger würdigte im Anschluss den Bergrutsch und das langjährige Engagement Dieters, für das er herzlich dankte. Als Naturschutzbehörde habe man für das Gebiet aufgrund seiner Wertigkeit alles aufgeboten was an unterschiedlichen Schutzmöglichkeiten machbar sei, um es dadurch von störenden Einflüssen frei zu halten und zu bewahren. Zu den wenigen Betretungsberechtigten gehöre aber seit Beginn Herr Dieter. Wer ansonsten den Rutsch kennen lernen wolle, sei bei dessen Führungen, an denen er auch selbst schon teilgenommen habe, bestens aufgehoben.

Dem konnte Oberbürgermeister Michael Bulander nur zustimmen. Durch seine unermüdliche Öffentlichkeitsarbeit habe Herr Dieter nicht nur dem Bergrutsch zu großer Publizität verholfen, sondern zugleich auch die Stadt Mössingen weithin bekannt gemacht und sei eine wichtige Stütze im touristischen Marketing. In den zurückliegenden 40 Jahren habe Armin Dieter über 1.500 Vorträge zum Bergrutsch gehalten und in Abstimmung mit der Stadt mehr als 2.000 Führungen mit ca. 70.000 Beteiligten realisiert.

„Als - wie man wohl mit Fug und Recht behaupten darf - bester Kenner und „Gesicht“ des mittlerweile landesweit bekannten Mössinger Bergrutsches veröffentlichte er zahlreiche Bildbände, war im Radio zu hören und mehrfach im Fernsehen zu sehen. Auch bei der Urlaubsmesse CMT unterstützt er seit Jahren das touristische Marketing unserer Stadt mit seiner Präsenz als Deutschlands einziger Bergrutschführer.“

Dass sich Dieter Mitte der 1990er Jahre als Natur- und Kulturfotograf selbständig gemacht habe, zeuge von viel Mut, zeige aber auch, dass Reichtum allein nicht glücklich mache. Denn reich geworden sei er mit dieser Arbeit nicht und seine Arbeitsstunden zähle er besser auch nicht. Dafür habe er bleibendes geschaffen. Darunter 18 Bücher, in denen immer wieder die heimische Tier- und Pflanzenwelt sowie die Landschaft, insbesondere rund um Mössingen, eine wichtige Rolle spiele. Für seine eindrücklichen Naturbilder warte Dieter als Fotograf nicht selten stundenlang auf den richtigen Moment. Dadurch gelinge es ihm aber auch immer aufs Neue, die Schönheit, den Wert und die Vielfalt unserer Natur sehr vielen Menschen nahe zu bringen.

Darüber hinaus war und ist Dieter auch ehrenamtlich höchst engagiert. Von 1999 bis 2020 bildete er so zusammen mit Rosemarie Söll den Vorstand der Ortsgruppe Mössingen des Schwäbischen Albvereins. Seit über 23 Jahren wirkt er außerdem als Stadtrat in der Mössinger Kommunalpolitik mit.

Zentral war für Armin Dieter jedoch stets „sein“ Mössinger Bergrutsch. Insofern verwundert es nicht, dass 2006, als den 77 bedeutendsten deutschen „Denkmalen der Erdgeschichte“ von der Akademie der Geowissenschaften in Hannover das Prädikat "Nationales Geotop" verliehen wurde, auch der Mössinger Bergrutsch darunter war. Die Akademie würdigte dabei ausdrücklich die seit 1983 vorgenommene Dokumentation von Naturfotograf Armin Dieter sowie die damit verbundene touristische Erschließung. Das langjährige Engagement der Stadt im UNESCO Global Geopark Schwäbische Alb ist ebenso ursächlich im Bergrutsch von 1983 und dessen Erfassung begründet.

Aufgrund der großen und langjährigen Verdienste Armin Dieter‘s um Mössingen habe er, so Michael Bulander, daher vorgeschlagen, diesem die städtische Ehrenplakette zu verleihen. Einem Vorschlag welchem der Mössinger Gemeinderat gerne und einstimmig gefolgt ist.

Er freue sich sehr, betonte der Oberbürgermeister, Herrn Dieter nun diese hohe Auszeichnung der Stadt verleihen zu dürfen. „Herzlichen Glückwunsch und sehen Sie diese Ehrung gerne als Ansporn, Ihre sehr geschätzte Arbeit weiterhin mit so viel Engagement fortzusetzen!“

Mit der Ehrenplakette der Stadt Mössingen können Personen und Vereinigungen ausgezeichnet werden, die sich durch besondere Leistungen hervorgetan und damit das Ansehen der Stadt gefördert haben. Die Ehrenplakette besteht aus Bronze, mit eingraviertem Name des Geehrten und dem Jahr der Verleihung. Dieter ist der 90. Geehrte dieser besonderen städtischen Auszeichnung.

Info:

Aus Anlass des Jubiläums bietet Bergrutschführer Armin Dieter am 19. Mai und 22. September 2023 im Auftrag der Stadt zwei kostenlose öffentliche Sonderführungen an. Teilnehmen können jeweils bis zu 50 Personen. Voraussetzung ist die vorherige Anmeldung und Bestätigung durch die Tourist-Information Mössingen. Die Plätze werden nach Eingang vergeben. Pro Anmeldung können max. zwei Plätze reserviert werden.

Darüber hinaus gibt es auch in diesem Jahr von Mai bis Oktober gegen Entgelt öffentliche Sonntagsführungen sowie die Möglichkeit, private Führungen bei Armin Dieter zu buchen

Weitere Infos unter https://www.moessingen.de/bergrutschjubilaeum .